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Gabriele Wagner
Ausbildung in der SOB Mistelbach – Ist eine Ausbildung ohne Menschen mit Migrationshintergrund möglich?

Mein Name ist Gabriele Wagner und ich beginne im Jänner 2026 mein 12. Jahr als pflegerische Leitung, Klassen- und Praktikumskoordinatorin und Lehrerin an der Schule für Pflegeassistenz und Fachsozialbetreuung mit den beiden Spezialisierungen Behindertenarbeit und Altenarbeit – kurz SOB – Mistelbach. Die Schule für Sozialbetreuungsberufe Mistelbach gibt es schon seit 1993. Sie ist, obwohl es sie schon so lange in Mistelbach gibt, relativ unbekannt. Wir gehören zum Schulverband HLW und BAFEP Mistelbach, sind aber in einer Außenstelle im Franziskusheim zu Hause. Dort haben wir zwei Klassenräume und sind sehr klein, aber sehr familiär. Wir kennen unsere Lehrgangsteilnehmerinnen und Lehrgangsteilnehmer sehr gut und versuchen auf jede bzw. jeden bestmöglich einzugehen.

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Wir bilden zur Pflegeassistentin bzw. zum Pflegeassistenten und zur Fachsozialbetreuerin bzw. zum Fachsozialbetreuer in den beiden Spezialisierungen Behindertenarbeit und Altenarbeit aus. Das Arbeitsgebiet in der Pflegeassistenz ist bekannt. Das Berufsbild Fachsozialbetreuung ist weniger bekannt, aber überall heiß begehrt. Hauptaufgabe ist es, zu versuchen, Menschen mit körperlichen oder geistigen Beeinträchtigungen in ihrem Alltag zu begleiten, anzuleiten, zu unterstützen und in Arbeitsprozesse einzubinden sowie alte Menschen in Pflegeheimen in die Gestaltung ihres Alltags und ihrer Freizeit miteinzubinden. Dadurch können die Menschen Aufgaben erfüllen, sich gesehen und wertgeschätzt fühlen und in Würde leben. Fachsozialbetreuerinnen und Fachsozialbetreuer spielen somit auch eine wichtige Rolle in Bezug auf die Verpflichtung, die Österreich mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention im Jahr 2008 eingegangen ist, das Recht auf Arbeit für Menschen mit Behinderungen zu sichern und zu fördern. Auch im Pflegeheimbereich sind Fachsozialbetreuerinnen und Fachsozialbetreuer sehr wichtig. Zwei der Aufgaben und Tätigkeiten des Sozialbetreuungsberufegesetzes NÖ lauten:

Der eigenverantwortliche Bereich besteht in der möglichst umfassenden Begleitung, Unterstützung und Betreuung älterer Menschen, einzeln oder in Gruppen, abgestimmt auf ihren Bedarf, gestützt auf wissenschaftliche Erkenntnisse.

  • Hilfen zur Wiederherstellung, Erhaltung und Förderung von Fähigkeiten und Fertigkeiten für ein möglichst selbstständiges und eigenverantwortliches Leben im Alter
  • Individuelle Begleitung bei der Sinnfindung und Neuorientierung in der Lebensphase Alter

Somit leistet das Berufsfeld Fachsozialbetreuung auch im Bereich Altenarbeit einen wertvollen Betrag zur Förderung von Selbstbestimmung und gesellschaftlicher Teilhabe alter Menschen.

2015 war für uns alle ein Jahr der Bilder. Wir hatten im Schuljahr 2015/2016 eine Schulklasse, in der eine einzige Lehrgangsteilnehmerin nicht aus Österreich stammte. Alle anderen waren in Österreich geboren. Im Februar 2016 hörte ich in einer Pause einem Gespräch unserer Lehrgangsteilnehmerinnen und Lehrgangsteilnehmer zum Thema Flüchtlinge zu und war sehr erschüttert über ihre Meinungen. Wir sind eine soziale Ausbildung. Das, was ich hier hörte, ging gar nicht. Dazu kam ein Gespräch mit unserem Hr. Direktor, der mir von dem Problem Übergangsklasse erzählte. In diesem Gespräch tauchte in mir zum ersten Mal der Gedanke auf, Menschen mit Migrationshintergrund eine Möglichkeit zur Integration in unserer Schule bieten zu können. Menschen, die ich kenne, die Augen haben, in die ich sehen kann, deren Geschichten ich erfahre, über die kann ich nicht herziehen. Und die andere Seite, wir in der Pflege brauchen Menschen, die andere Kulturen verstehen. Und – diese Menschen haben die Möglichkeit hierzubleiben. Hinzu kam noch, dass die Zahl unsere Lehrgangsteilnehmerinnen und Lehrgangsteilnehmer im Jahr 2016 das erste Mal spürbar nach unten ging, d.h. wir hatten deutlich weniger Anmeldungen als im Jahr 2015.

Ein guter Gedanke, der mit unserer ersten Klasse im September 2016 begann. Es ist daraus ein Erfolgsprogramm geworden. Wir haben in den letzten zehn Jahren über 80 Menschen aus Kenia, Vietnam, Nigeria, Ghana, Brasilien, Amerika, Afghanistan, Syrien, Irak, Gambia, Zimbabwe, Südafrika, Indien, aus der Elfenbeinküste, Serbien, Tschechien, Weißrussland, Rumänien, Kroatien, Slowakei und noch einigen anderen Ländern unterrichtet und bis zum Abschluss begleitet. Wir konnten feststellen, dass in unseren Klassen verschiedene Religionen im Unterrichtsfach Ethik zusammenkamen und es ein Lernerfolg ist, herauszufinden, dass wir alle so viel gemeinsam haben. Wir erleben oft Aha‘s, wenn wir feststellen, wie ähnlich unser Essen zubereitet wird und wie sehr wir doch ähnliche Bedürfnisse und Wünsche haben.

Unsere nicht in Österreich geborenen Absolventinnen und Absolventen, die bei uns die Ausbildung abgeschlossen haben, arbeiten noch immer in der Pflege. Mehrere Kolleginnen und Kollegen aus Afghanistan und aus Nigeria machen gerade die Ausbildung zum Bachelor für Gesundheits- und Krankenpflege und viele von ihnen haben die Weiterbildung zum Pflegefachassistenten abgeschlossen. Ein Erfolgsmodell…

Durch diese Menschen mit Migrationshintergrund konnte sich unser Schulstandort halten. Ohne sie wären wir wahrscheinlich bereits im Jahr 2017 an unsere Grenzen gestoßen. Als Beispiel: Im Schuljahr 2024/2025 hatten wir 64 Bewerberinnen und Bewerber, davon 19 aus Österreich, von denen wir 14 aufnehmen konnten – die anderen sahen wir für die Ausbildung in der Pflegeassistenz und Fachsozialbetreuung als nicht geeignet an. Der Rest der 33 Lehrgangsteilnehmerinnen und Lehrgangsteilnehmer stammen aus anderen Ländern. Auch im Schuljahr 2025/2026 haben mehr als die Hälfte unserer 36 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der 1. Klasse Migrationshintergrund.

Dass die deutsche Sprache dabei oft ein großes Thema ist, ist verständlich. Schon beim Eignungsverfahren wird speziell in den letzten beiden Jahren sehr bewusst darauf geachtet, dass die Lehrgangsteilnehmerinnen und Lehrgangsteilnehmer genügend Deutschkenntnisse mitbringen. Dabei mussten wir auch einiges an Lehrgeld zahlen. Heute haben wir Unterstützung durch wunderbare Menschen aus Österreich, die gerne und mit sehr viel Engagement helfen. Im Kolpinghaus Mistelbach wurde für unsere Lehrgangsteilnehmerinnen und Lehrgangsteilnehmer ein Lerncafé gestartet. Auch gibt es kostenlose Deutschkurse in Wien, die sie regelmäßig besuchen.

Dass die Deutschkenntnisse auch und vor allem in der Praxis von großer Bedeutung sind, ist ebenfalls nur allzu nachvollziehbar. Sowohl Menschen mit geistigen und körperlichen Beeinträchtigungen und alte Menschen als auch Kolleginnen und Kollegen müssen gut verstanden werden, eine professionelle Kommunikation ist für alle Seiten essenziell. Dass in diesen herausfordernden Zeiten die berufliche Praxis oftmals zu wenig Zeit für ein mehrfaches Erklären hat, ist ebenfalls eine bekannte Tatsache und kann nicht negiert werden.

Ein weiterer wichtiger Gesichtspunkt ist, dass es in unserer Ausbildung ein Team an Lehrerinnen und Lehrern braucht, dass keine Ressentiments gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund hat. Auch dies mussten wir schmerzhaft lernen. Unser heutiges Team hat sich bewusst für unsere Schule in dieser Form entschieden. Einige Lehrerinnen und Lehrer aus unserem Team können die Situation der Lehrgangsteilnehmer*innen durch ihre eigene Geschichte gut nachvollziehen.

In den ersten Jahren waren vor allem das Kämpfen um Aufenthaltsbewilligungen, um Gerichtsurteile und gegen Ausweisungen von Asylwerberinnen und Asylwerber aufregend und kräfteraubend. Glücklicherweise erlebten wir nie die Situation, dass einer unserer Lehrgangsteilnehmerinnen oder Lehrgangsteilnehmer ausgewiesen wurde. Wir hatten immer das Glück, dass Richterinnen und Richter für den Verbleib entschieden haben. Dazu hat der Zusammenhalt unserer Schule geholfen oder auch die Unterstützung von Österreichinnen und Österreichern, die beherzt mit Briefen, Bestätigungen und ihrem Auftreten vor Gericht geholfen haben. So richtig verwundert war ich, als eine von Herzen stammende Bestätigung sogar in einem Gerichtsurteil zitiert wurde. In diesen neun Jahren hat es von wunderbaren Menschen nur so gewimmelt.

Heute kämpfen wir um Schüler*innen-Visa, um die Zuerkennung von Pflegestipendien, um Berufsregistrierungen und Strafregisterbescheide aus Herkunftsländern, die die letzten fünf Jahre betreffen sollen und aufgrund des zwischenzeitlichen Aufenthalts in Österreich nicht ausgestellt werden können. Vieles daran erinnert an einen Kampf gegen Windmühlen. Genauso kräftezehrend und oftmals noch unverständlicher als der Kampf um eine Aufenthaltsbewilligung.

Enden möchte ich mit einer Frage: Was würde ich mir – was würde ich uns allen – wünschen? Dass wir Menschen, die den wunderschönen Beruf der Pflege erlernen möchten, viel mehr unterstützen. Egal aus welchem Land sie kommen. Dass dieser wunderschöne Beruf wieder mehr Zulauf bekommt. Dass dieser so wichtige Beruf nicht nur als Wahlthema dient, sondern dass er wirklich von der Politik unterstützt wird. Dass wir uns bewusst sind, dass wir unseren Fachkräftemangel nur durch eine bewusste Willkommenskultur in den Griff bekommen können, egal ob bei österreichischen oder nicht österreichischen Lehrgangsteilnehmerin bzw. Lehrgangsteilnehmern. Dass wir nicht immer nur als Einzelkämpfer unseren Weg gehen müssen. Es braucht viel Kraft und viel Mut, um eine kleine Insel entstehen zu lassen. Dies ist möglich. Aber es wäre viel leichter, wenn wir nicht nur lauter kleine Inseln wären. Sondern eine große Gemeinschaft.

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Zur Person

Gabriele Wagner,

ist pflegerische Leitung, Klassen- und Praktikumskoordinatorin und Lehrerin an der Schule für Pflegeassistenz und Fachsozialbetreuung mit den beiden Spezialisierungen Behindertenarbeit und Altenarbeit – kurz SOB – Mistelbach.

(2025, November 15).
Ausbildung in der SOB Mistelbach – Ist eine Ausbildung ohne Menschen mit Migrationshintergrund möglich?
pfa.pflegenetz.at
https://pfa.pflegenetz.at/artikel/ausbildung-in-der-sob-mistelbach-ist-eine-ausbildung-ohne-menschen-mit-migrationshintergrund-moeglich

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