„Ein Dienst mit Kopftuch, nur um mal zu wissen `wie das eigentlich so ist´.“ Genau das und nicht mehr war ursprünglich meine Idee, als ich mir im Mai dieses Jahres von meiner Kollegin ein Hijab anlegen lassen habe. Als kleine Erinnerung für uns beide an diese Erfahrung haben wir ein Video davon geschnitten und es auf einer Socialmedia-Plattform gepostet. Innerhalb weniger Minuten wurde aber klar, dass wir damit scheinbar einen Nerv getroffen haben. Es hagelte Views, Likes und Kommentare, positiv, wie negativ. Damit hatten wir beide nicht gerechnet. Womit ich persönlich aber am wenigsten gerechnet habe, dass es im Jahr 2025 immer noch so viele Menschen gibt, für die das Tragen von Kopftüchern vor allem in Krankenhäusern ein großes Problem darstellt. Abgesehen von den Unterstellungen meine Kollegin würde Islamisierung betreiben und ich würde mich an der Unterdrückung der Frauen im Iran beteiligen, wurde die Hygiene der Kopftücher im Krankenhaus in Frage gestellt.
Da es für mich keine Option war, den Kopf in den Sand zu stecken, habe ich damit begonnen mich mit den einzelnen Themen auseinanderzusetzen und entsprechende Videos zu produzieren, in denen ich zu den Themengebieten Stellung nehme und versuche Wissenslücken zu schließen. Aber wie hat sich das eigentlich angefühlt? Was waren meine Gedanken und Gefühle an dem Tag? Wie sahen die Reaktionen der Kolleginnen und Kollegen aus? Wie haben Patient:innen und deren Angehörige reagiert? Gibt es im Jahr 2025 tatsächlich noch Rassismus in der Pflege und wenn ja wie sieht dieser aus? Was können wir dagegen tun? Was wünschen sich Betroffene?
Insgesamt war mein Dienst mit Kopftuch eine durchweg positive Erfahrung für mich. Das Feedback war überwiegend positiv. Viele meiner Kolleg:innen waren im ersten Moment sichtlich irritiert, haben mich aber nicht anders behandelt, wie sonst auch. Meine Kollegin, welche mir das Kopftuch gebunden hatte, und ich haben an diesem Tag sehr viel gelacht. Zum Teil mit anderen Kolleg:innen aber auch über den ein oder anderen verwirrten Blick. Der Großteil dieser verwirrten Blicke mag der Tatsache geschuldet sein, dass mein sonstiges Auftreten mit Tattoos und Piercings nicht unbedingt zum Tragen eines Hijabs passt.
Besonders im Gedächtnis geblieben ist mir die Reaktion eines muslimischen Patienten, den ich bereits am Vortag und ohne Kopftuch betreut hatte. Nachdem ich ihn über die Situation aufgeklärt habe, meinte er, dass er sich sehr über so viel Interesse an seinem Glauben freue und sich mehr Menschen mit dieser Offenheit wünsche. Diese Reaktion hat mir viel bedeutet, da ich mir im Vorfeld Sorgen darüber gemacht hatte, ob andere sich durch meinen Versuch nicht angegriffen fühlen oder denken ich wolle ihren Glauben lächerlich machen.
Das Tuch selbst, oder viel mehr die Tücher, habe ich schon nach kurzer Zeit gar nicht mehr richtig bemerkt. Ich hatte erwartet, dass es sich vielleicht schwer, eng oder sehr warm am Kopf anfühlen würde. Dem war aber nicht so. Im Gegenteil. Es war ein sehr angenehmes Tragegefühl und mir sind an dem Tag definitiv keine lästigen Haarsträhnen ins Gesicht gefallen.
Um dieses positive Erlebnis festzuhalten haben meine Kollegin und ich ein Video davon gemacht, wie sie mir die Tücher angelegt hat und es auf einer Socialmedia-Plattform gepostet. Die Anzahl der Reaktionen auf dieses Video war deutlich höher als erwartet. Bereits nach einigen Stunden gab es über 100.000 Aufrufe. Im Sekundentakt kamen Benachrichtigungen über Kommentare. Zunächst waren diese überwiegend positiv. Aber natürlich kam auch negative Kritik. Es wurde in Frage gestellt, ob ein Kopftuch überhaupt hygienisch korrekt sei. Es hieß ich würde mich mit meinem Versuch an der Unterdrückung der Frauen im Iran beteiligen, würde die Emanzipation und Gleichberechtigung mit Füßen treten. Vor allem aber gab es rassistische Kommentare. Meist ging es dabei darum, dass Kopftücher im Krankenhaus oder gar in Deutschland „nichts zu suchen“ hätten. Gekrönt wurden diese Anfeindungen durch die Unterstellung meine Kollegin wolle mich „islamisieren“.
Während mich also eine Benachrichtigung nach der anderen erreichte, stellte sich natürlich schnell die Frage, wie ich damit umgehen möchte. Für mich war schnell klar, dass ich das nicht einfach so stehen lassen kann und möchte. Außerdem war mein Interesse geweckt. Gibt es eigentlich Leitlinien für das Tragen von Kopftüchern in der Pflege? Gibt es Arbeitgebende, die das Tragen eines Hijabs (o.Ä) während der Arbeit verbieten? Werden meine Kolleginnen und Kollegen mit Migrationshintergrund jeden Tag mit solchen Äußerungen konfrontiert?
Um diese Fragen zunächst einmal für mich selbst zu beantworten, begann ich zu recherchieren. Im Internet, in Gesprächen mit Freund:innen und Kolleg:innen und auch durch Kontakt mit der Pflegekammer NRW und der Deutschen Gesellschaft für Allgemeine und Krankenhaus-Hygiene (DGKH).
Eine direkte Hygienevorschrift für das Tragen von Kopftüchern bei der Arbeit im Krankenhaus gibt es nicht. Es gibt allerdings eine Stellungnahme und ein Hygienetipp der DGKH zu diesem Thema, welche im Archiv der offiziellen Website der Gesellschaft (Krankenhaushygiene.de) unter dem Titel „Tragen von Kopftuch bei Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Gesundheitswesen“ zu finden sind.
Diesen ist zu entnehmen, dass für das Kopftuch im Prinzip die gleichen Voraussetzungen gelten sollten, wie für die sonstige Arbeitskleidung:
Aus persönlicher Erfahrung kann ich berichten, dass die meisten Pflegekräfte extra Tücher für die Arbeit verwenden, welche sie vor Dienstbeginn mit ihrer übrigen Arbeitskleidung anlegen und nach Dienstende wieder gegen ein anderes Tuch tauschen.
Tatsächlich ist es insbesondere kirchlichen Arbeitgebenden aufgrund des kirchlichen Selbstbestimmungsrechtes möglich ihren Angestellten das Tragen eines Kopftuches während der Arbeit zu verbieten. Dies geht aus einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) im Jahre 2014 (BAG 24.09.2014 – 5 AZR 611/12) hervor. In diesem Fall hatte die Pflegekraft während ihrer Elternzeit begonnen ein Kopftuch zu tragen, was ihr Arbeitgeber mit evangelischem Träger aber während ihrer Arbeitszeit nicht gestatten wollte. Das BAG betont allerdings, dass nichtkirchliche Arbeitgebende das Tragen eines Kopftuches während der Arbeitszeit zu tolerieren haben. Über ein vertraglich geregeltes Verbot wird in diesem Urteil keine Aussage getroffen. Laut einer Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes (14.03.2017, C-157/15) ist es grundsätzlich zulässig ein Neutralitätsgebot in einer Dienstvereinbarung festzulegen.
Wie aus dem Projektbericht „Internationalisierung der Pflege – Pflegekräfte mit ausländischer Staatsangehörigkeit und ihr Beitrag zur Fachkräftesicherung“ [Jeanette Carstensen, Holger Seibert, Doris Wiethölter, 22|2024 Internationalisierung der Pflege – Pflegekräfte mit ausländischer Staatsangehörigkeit und ihr Beitrag zur Fachkräftesicherung (14. Oktober 2024) Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit, https://doku.iab.de/forschungsbericht/2024/fb2224.pdf] hervorgeht, liegt der Anteil der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten ohne deutsche Staatsangehörigkeit in der Krankenpflege bei 14,5 % und in der Altenpflege bei 18,9 %.
Studien und Erhebungen wie diese findet man zuhauf im Netz. Was aber bisher fehlt sind Studien zu Rassismus in der Pflege oder generell im Gesundheitswesen. Das iSPO (Institut für Sozialforschung, Praxisberatung und Organisationsentwicklung) hat im März 2025 eine Onlinebefragung zu diesem Thema durchgeführt. Die Ergebnisse, inklusive Handlungsempfehlungen für Arbeitgebende im Gesundheitswesen, werden im Sommer 2026 erwartet.
Aber wie sollten wir uns bis dahin verhalten, wenn wir diskriminierendes Verhalten gegenüber unseren Kolleg:innen erleben? Bisher habe ich mich in solchen Situationen immer klar dazu positioniert und Patient:innen oder deren Angehörigen deutlich zu verstehen gegeben, dass ich solche Äußerungen nicht tolerieren werde, sofern diese offenkundig rassistisch waren. Schwieriger verhält es sich jedoch, wenn scheinbar „nette“ Anmerkungen getroffen werden, wie z.B. „Ihre Kollegin mit dem Kopftuch kann aber richtig gut Deutsch.“
Vor einigen Jahren habe ich solche Sätze noch weggelächelt. Mittlerweile ist es für mich aber wichtig auch solche „kleinen“ Diskriminierungen bewusst zu unterbinden, auch wenn sie von den meisten zunächst gar nicht als solche wahrgenommen werden. Meist weise ich dann freundlich drauf hin, dass das womöglich daran liegt, dass meine Kollegin sowohl in Deutschland geboren als auch aufgewachsen ist.
Ich kann mich an eine Situation erinnern, in der wir einen Patienten zu versorgen hatten, der ein offenkundig rechtes Symbol über den gesamten Bauch tätowiert hatte. Wir haben damals gemeinsam im Team entschieden, dass sich unsere Kolleg:innen mit Migrationshintergrund aus der Versorgung dieses Patienten zurückziehen dürfen und können.
In diesem Dienst habe ich mich mit meiner Kollegin über ihr Berührungspunkte mit Rassismus und Diskriminierung vor allem im Dienst unterhalten und sie gefragt, was sie sich eigentlich wünscht. Ihre Antwort war, dass sie sich wünsche man würde das Tuch einfach ignorieren und daran denken, dass das Tuch ihre Haare bedecke und nicht ihr Gehirn. Außerdem hat sie darum gebeten auf keinen Fall Streit mit Angehörigen oder Patient/-innen aufgrund rassistischer Verhaltensweisen oder Bemerkungen ihr gegenüber zu beginnen. Stattdessen solle unbedingt ein ruhiges und konstruktives Gespräch geführt werden, in welchem man sie im besten Fall mit einbinden solle.
Abschließend lässt sich sagen, dass das Thema Pflegende mit Migrationshintergrund zwar Aufmerksamkeit erhält und erforscht wird, das daraus resultierende Problem der Diskriminierung und des Rassismus im Pflegealltag dabei aber viel zu kurz kommt. Es bleibt also zu hoffen, dass die im März gestartete Studie des iSPO eine Art Startschuss darstellen wird und in Zukunft auch Seitens der Regierung und Arbeitgeber/-innen aktiv gegen Rassismus in Gesundheitseinrichtungen vorgegangen wird.
Nicht zuletzt ist aber auch an alle Pflegekräfte zu appellieren, zusammenzuhalten, füreinander einzustehen und das Thema nicht tot zu schweigen, denn „erst die schweigende Mehrheit ermöglicht das schreiende Unrecht“ (Gregor Stefan Heuwangl, *1963, deutscher Aphoristiker, Lyriker und Schriftsteller).
Dana Rehm,
arbeitet seit Oktober 2020 als examinierte Gesundheits- und Krankenpflegerin auf einer hauptsächlich chirurgischen IMC (Intermediate Care) Station. 2022 hat sie erfolgreich an einer Weiterbildung zur Pflegeexpertin für Intermediate Care teilgenommen. Derzeit befindet sie sich in der Weiterbildung zur Praxisanleiterin, da ihr die Zukunft der Berufsgruppe sehr am Herzen liegt.
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