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Elisabeth Hahn, Kerstin Mascher – Golla, Carsten Myslik
Es ist Zeit, die Pflege neu zu denken.

Wer heute noch glaubt, das Gesundheitssystem könne mit den Strukturen von gestern die Herausforderungen von morgen meistern, unterschätzt die Dramatik der Situation. Demografischer Wandel, Fachkräftemangel und die steigenden Ansprüche an Qualität und Effizienz an stationäre Pflegeeinrichtungen stellen die Pflege vor eine historische Wegmarke (OECD, 2023).

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Vom Gesetz zum Auftrag

Mit der Einführung der Berufsgruppe der Pflegefachassistenz (PFA) im Jahr 2016 wurde ein neues Kapitel in der österreichischen Pflegegeschichte aufgeschlagen (§ 82 GuKG, 2016). Während in vielen europäischen Ländern diese Zwischenqualifikation noch völlig unbekannt war, eröffneten die Gesetzesnovellen der Jahre 2018, 2020, 2022, 2024 und 2025 schrittweise mehr Handlungsspielräume. Doch Gesetze allein verändern keine Realität. Anfangs waren viele Organisationen überfragt, wie und in welchem Umfang die neue Berufsgruppe eingesetzt werden soll, um eine Organisationsentwicklung anzustoßen. Entscheidend ist, ob und wie Organisationen diese Chancen ergreifen – oder eben ungenutzt verstreichen lassen.

Internationale Perspektive

Ein Blick nach Europa zeigt, dass Österreich mit der Etablierung der PFA einen Sonderweg beschritten hat. In Ländern wie Deutschland oder Frankreich existieren zwar Qualifikationen im mittleren Pflegesegment, jedoch unterscheiden sich die Kompetenzen teils deutlich. Während in Deutschland Pflegefachassistent*innen überwiegend unterstützende Tätigkeiten übernehmen, ist in Österreich der Handlungsspielraum durch gesetzliche Erweiterungen deutlich gewachsen. Diese Differenzierung eröffnet Chancen, macht aber auch klar: Die Wirksamkeit hängt weniger vom Gesetz als vielmehr von der Organisationskultur ab.

Pflegefachassistenz als Motor für Veränderung

Die Integration von PFA in den Stationsalltag im Pflegekrankenhaus ist weit mehr als ein organisatorischer Akt. Sie ist ein Bekenntnis zu Partizipation, Wertschätzung und Kompetenzorientierung. Studien zeigen, dass Mitarbeitende dann langfristig motiviert bleiben, wenn sie in ihren Fähigkeiten ernst genommen und entsprechend eingesetzt werden (Schmidt & Müller, 2021). Bleibt dies aus, drohen Frustration und Abwanderung – ein Risiko, das sich angesichts des Pflegepersonalmangels kein Haus leisten kann (WHO, 2022).

Viele Einrichtungen nutzen die PFA noch immer wie klassische Pflegeassistent*innen. Damit verschenken sie Potenzial. Der Erfolg liegt darin, den Kompetenzbereich bewusst einzusetzen, Funktionsprofile weiterzuentwickeln und Schnittstellen klar zu definieren. Besonders in multiprofessionellen Settings braucht es dafür Mut, alte Muster zu hinterfragen – und Kreativität.

Stimmen aus der Praxis – Interview mit Kerstin

„Bereits während der Ausbildung stieß ich aufgrund meiner Entscheidung, anschließend in die Geriatrie zu gehen, größtenteils auf Unverständnis, da sich die Rolle der Pflegefachassistenz derzeit erst vorrangig im Akutbereich etabliert. Ausschlaggebend für meine Entscheidung war die Möglichkeit der Beziehungsarbeit mit den Bewohner*innen sowie das Bestreben seitens der Pflegedirektion und der Stationsleitung, Strukturen für die PFA im Stationsalltag zu schaffen.“

Kerstin beschreibt, wie die PFA in der Langzeitpflege Verantwortung für eine Bewohner*innengruppe übernimmt. Dazu gehören tägliche Medikamentenausgabe, Beobachtungs- und Dokumentationstätigkeiten, Mitwirkung bei Visiten und die Kommunikation im interdisziplinären Team.
„Als lernende Organisation ist das Haus der Barmherzigkeit bestrebt, die Langzeitpflege auch für Pflegefachassistentinnen attraktiv zu gestalten, den Kompetenzbereich zu nutzen und in den Stationsalltag zu implementieren.“

Das Beispiel zeigt: PFA können im Versorgungsalltag einen entscheidenden Beitrag leisten – wenn Organisationen den Raum dafür schaffen.

Kreativität als Schlüssel

Innovationen entstehen nicht allein durch Gesetzesänderungen, sondern durch gelebte Praxis. Die Digitalisierung der Dienstübergabe oder neue Modelle der Dienstplangestaltung haben gezeigt, wie durchdachte Maßnahmen die Zusammenarbeit verbessern und die Kompetenzen aller Teammitglieder sichtbarer machen können. Das digitale System bietet heute Transparenz in Echtzeit. So sehen diplomierte Pflegekräfte, Pflegefachassistent*innen und Pflegeassistent*innen gleichzeitig die relevanten Daten, können Rückfragen stellen und Verantwortung teilen. Diese technische Lösung war kein Selbstzweck, sondern wurde zum Motor für mehr Zusammenarbeit und gegenseitiges Vertrauen.

Wandel bedeutet immer auch, Gewohntes zu hinterfragen. Auch bei uns wurde zu Beginn die Einführung der PFA als zusätzlicher organisatorischer Aufwand gesehen. Erst in dem Moment, in dem die Teams begannen, die Chancen zu erkennen, wandelte sich Skepsis in Engagement. Entscheidend war, dass Führungskräfte nicht nur den gesetzlichen Rahmen kommunizierten, sondern aktiv Räume für Austausch, Feedback und Weiterentwicklung schufen. Ohne diese kommunikative Brücke wäre die Akzeptanz ungleich schwerer gefallen. Wichtig war, dass seitens der Pflegedirektion nicht nur der Auftrag gegeben, sondern auch das klare Bekenntnis zur Innovation gelebt wird! Change-Management und Agilität sind dabei keine Schlagworte, sondern notwendige Werkzeuge, um Pflege nachhaltig zu sichern (Kotter, 2012).

Fazit – Zeit für klare Entscheidungen

Die Einführung der PFA war kein einmaliges Projekt mit definiertem Anfang und Ende, sondern ist ein kontinuierlicher Prozess, der Organisationen zwingt, Pflege neu zu denken. Die Organisation lernte – und lernt – im Tun. Wer Pflege zukunftsfähig gestalten will, darf nicht bei rechtlichen Rahmenbedingungen stehen bleiben. Er muss Strukturen, Rollen und Zusammenarbeit konsequent weiterentwickeln. Laufende Evaluation, offene Kommunikation und das gemeinsame Ziel, die Pflege in unserem Pflegekrankenhaus zukunftsfähig zu gestalten, motivieren uns den Wandel aktiv zu gestalten.

Es ist Zeit, die Pflegefachassistenz nicht nur als zusätzliche Hand zu sehen, sondern als gleichwertige Stimme im Team.

Denn Pflege gelingt nur dann, wenn sie auf vielen starken Schultern ruht – und jede dieser Schultern trägt, was sie tragen kann.

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Literatur

  • OECD. (2023). Health at a Glance: Europe 2023. OECD Publishing.
  • Schmidt, A., & Müller, T. (2021). Mitarbeiterbindung in der Pflege: Einflussfaktoren und Handlungsmöglichkeiten. Pflegewissenschaft, 23(4), 201–210.
  • World Health Organization. (2022). State of the world’s nursing 2022. WHO Publishing.
  • Kotter, J. P. (2012). Leading Change. Harvard Business Review Press.
  • Österreichisches Gesundheits- und Krankenpflegegesetz (GuKG), § 82 (2016).

Zur Person

Carsten Myslik Msc.,

ist Leitung der Ebene 3 im Haus der Barmherzigkeit im Pflegekrankenhaus Tokiostraße

Kerstin Mascher – Golla,

ist hochmotivierte Pflegeassistentin auf Ebene 3 und ist maßgeblich an der Rollenentwicklung beteiligt.

Elisabeth Hahn,

ist Leitung der Pflegeentwicklung und stellvertretende Pflegedirektorin im Haus der Barmherzigkeit im Pflegekrankenhaus Tokiostraße.

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